Wegen der nach wie vor hohen Inflation hat die Europäische Zentralbank die Leitzinsen 2022 viermal erhöht – auf aktuell 2,5 %. Die Niedrigzinspolitik der vergangenen Jahre ist damit vorbei. Das bedeutet, ab sofort werden Kredite teurer und man bekommt wieder Sparzinsen. Die Hoffnung der EZB ist es, dass durch die höheren Zinsen langfristig die Preise sinken. Doch ob das wirklich passiert, ist fraglich. Am Ende könnte die Zinserhöhung die Krise noch verschärfen. Denn Zinserhöhungen können zu sinkenden Löhnen und Arbeitslosigkeit führen.
Die Preissteigerungen und der Angebotsschock von fossilen Energieträgern treiben in ganz Europa die Preise nach oben. Auch die, nach wie vor von der Pandemie gestörten, Lieferketten befeuern die Inflation. Die EZB will das Problem mit Zinserhöhungen lösen. Aber führen höhere Zinsen zu niedrigeren Preisen?
Die Idee dahinter ist folgende: Wenn man für Kredite höhere Zinsen zahlen muss, wird es für Unternehmen und Verbraucher weniger attraktiv, sich zu verschulden. Somit wird weniger investiert und mehr gespart. Dadurch sinkt die Nachfrage: Menschen kaufen weniger ein, weswegen Unternehmen – in der Theorie – gezwungen sind, die Preise zu senken. Das geht jedoch nicht ohne einige Kollateralschäden.
Mit Zinserhöhungen riskiert die EZB Lohndruck & Arbeitslosigkeit
Denn ein Nachfrageeinbruch führt nicht selten zu einer Rezession: Unternehmen, die ihre Produkte nicht verkaufen können, müssen ihre Angestellten schlechter entlohnen oder sogar entlassen. Erst dadurch sind viele Unternehmen in der Lage, ihre Preise zu senken. Andere – meist kleine – Unternehmen können sogar insolvent werden, wodurch noch mehr Menschen arbeitslos werden. Die Inflationsbekämpfung findet also auf dem Rücken der arbeitenden Bevölkerung statt.
Auch Personen, die – z.B. um ein Haus zu bauen – einen Kredit aufgenommen haben, werden durch die Zinserhöhungen hart getroffen: Wenn ihr Kredit variabel verzinst ist, müssen sie nun auf einen Schlag mehr zahlen. Für viele Menschen kann das mitunter existenzbedrohend sein: Wer bspw. für 0,5 % Zinsen einen variablen Hauskredit über 500.000 € aufgenommen hat, und jetzt 2 % Zinsen zusätzlich zahlen muss, der hat jährliche Mehrkosten von 10.000 €.
Sparer haben von den höheren Zinsen dagegen eher weniger. Denn die Inflation liegt mit über 10 % immer noch weit darüber. Auch wenn man also künftig wieder Sparzinsen bekommt, wird man auf Dauer durch die Inflation trotzdem ärmer.
Am eigentlichen Problem ändert die EZB mit Zinserhöhungen wenig
Es fragt sich also, warum die Zentralbank das tut? Die EZB hat das vorrangige Ziel, Preisstabilität zu gewährleisten. Sie muss dafür sorgen, dass die Preise in der Euro-Zone annähernd gleich bleiben bzw. nur sehr langsam steigen. Auf die enormen Preissteigerungen der vergangenen Monate muss die EZB also in irgendeiner Form reagieren. Das Problem ist nur: Auf die eigentliche Ursache der Inflation – nämlich den Angebotsschock sowie die Lieferengpässe infolge der Pandemie – hat die EZB überhaupt keinen Einfluss.
Die Preise für Öl und Gas werden so schnell nicht sinken, nur weil die EZB die Zinsen erhöht. Denn Energie ist, wie Ökonom:innen sagen, ein unelastisches Gut, d.h. wenn Haushalte sparen, kürzen sie zuerst bei allem anderen und erst als Letztes bei der Energie. Es ist also mehr als fraglich, ob die geldpolitischen Maßnahmen der EZB wirklich treffsicher sind. Viel eher besteht die Gefahr, dass die Europäische Zentralbank mit den Zinserhöhungen eine Rezession provoziert, die vor allem die untere Einkommenshälfte stark belasten wird.
Normalerweise werden die Zinsen dann angehoben, wenn die Wirtschaft überhitzt ist. Die europäische Wirtschaft ist aber nicht überhitzt – im Gegenteil: Wir befinden uns in einer Krise, und diese wird durch die Zinserhöhungen noch verschärft. Die ökonomische Lehrbuchweisheit, bei hoher Inflation die Zinsen anzuheben, offenbart sich in der aktuellen Situation als fatal.
Was es stattdessen bräuchte
Es darf auf keinen Fall Öl ins Feuer gegossen werden. Die Zinserhöhung darf nicht zu stark ansteigen, muss aber zügig voranschreiten. In anderen Worten: soft but fast. Darüber hinaus muss die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern abgebaut werden. Um von diesen unabhängig zu werden, bräuchte es sowohl staatliche als auch private Investitionen in saubere Energie. Durch zu hohe Zinsen werden Investitionen jedoch erschwert.
Außerdem bräuchte es kurzfristige Lösungen, wie eine Mietpreisbremse und einen wirksamen Preisdeckel für Strom und Gas. Für diese Maßnahmen sind jedoch die Staaten zuständig und nicht die EZB. Fakt ist, es braucht eine gute Balance aus geldpolitischen und fiskalpolitischen Maßnahmen.